Man mag über die Titelſucht ſpotten und lächeln ſoviel man will – es wäre doch eine große Unhöflichkeit, wollte man jemand nicht mit dem Titel anreden, der ihm zukommt. Der Regierungsrat Lehmann würde es ſehr übel nehmen, wenn man zu ihm ſagte „Herr Lehmann“ anſtatt „Herr Regierungsrat“, und Herr Geheimrat Müller würde es als Kränkung empfinden, wenn man ihn nur „Herr Rat“ anſtatt mit „Herr Geheimrat“ nennen würde.Umgekehrt iſt es aber auch höchſt taktlos, jemand einen höheren Titel anzuhängen, als er in Wirklichkeit beſitzt, was dem Betroffenen immer peinlich ſein muſs.
Prädikate nach der Lebensſtellung
Während Titel immerhin ein gewiſſes Amt kennzeichnen, kennzeichnen Prädikate die geſellſchaftliche Stellung. In dieſer Beziehung wird folgendes bemerkt:
- Das Prädikat „Wohlgeboren“ ſteht jedem Menſchen zu
- Das Prädikat „Hochwohlgeboren“ ſteht allen Beamten zu, welche mindeſtens im Range der Räte IV. Klaſſe erhoben oder in entſprechender Lebensſtellung befindlichen Perſonen, und den Freiherren.
- Das Prädikat „Exzellenz“ führen die Botſchafter, die Miniſter, die im Amte befindlichen Oberpräſidenten, die kommandierenden Generäle und Generalleutnannts, die kommandierenden Admiräle und Vizeadmiräle, die Wirklichen Heheimen Räte, ſowie alle, denen das Prädikat „Exzellenz“ beſonders verliehen iſt. Den Gemahlinnen aller dieſer Perſönlichkeiten ſteht gleichfalls das Prädikat „Exzellenz“ zu.
- Das Prädikat „Hochehrwürden“ führen die evangeliſchen Geiſtlichen.
- Das Prädikat „Hochwürden“ führen die evangeliſchen Superintendenten, Generalsuperintendeten, Hofprediger, ferner alle katholiſchen Geſitlichen mit Ausnahme der nachſtehend bezeichneten:
- Das Prädikat „Monſignore“ führen die geiſtlichen Hausprälaten.
- Das Prädikat „Biſchhöfliche Gnaden“ führen katholiſche Biſchhöfe.
- Das Prädikat „Erzbiſchhöfliche Gnaden“ führen Erzbiſchhöfe.
- Das Prädikat „Fürſtliche Gnaden“ führen Fürſtbiſchhöfe.
- Das Prädikat „Eminenz“ führen Kardinäle.
- Das Prädikat „Heiliger Vater“ oder „Eure Heiligkeit“ führt der Papſt.
- Das Prädikat „Magnifizenz“ führt der Rektor einer Univerſität (aber nur im ſchriftlichen Verkehr).
Prädikate nach der Geburt
- „Hochgeboren“ iſt jeder Graf und jede Gräfin.
- “Erlaucht“ iſt jeder gräfliche Standesherr und ſeine Gemahlin.
- “Durchlaucht“ iſt jeder Fürſt, ſowie die Prinzen und Prinzeſſinen einiger herzoglicher Häuſer.
- “Hoheit“ heißen die regierenden Herzöge mit ihren Gemahlinnen und Thronerben.
- “Großherzogliche Hoheit“ heißen die Prinzen und Prinzeſſinen aus großherzoglichen Häuſern.
- “Königliche Hoheit“ heißen die regierenden Großherzöge nebſt Gemahlinnen, die Erzgroßherzöge nebſt Gemahlinnen und alle Mitglieder der königlichen Häuſer.
- “Kaiſerliche und Königliche Hoheit“ iſt der deutſche Kronprinz.
- “Königliche Majeſtät“ iſt der König und die “Kaiſerliche und Königliche Majeſtät“ ſind unſer Kaiſer und die Kaiſerin.
- “Kaiserliche und Königliche Majestät“ sind unser Kaiser und die Kaiserin.
Besondere Prädikate einiger Damen
- Aetbtiſſinen oder Priorinnen adeliger Stifte heißen – auch unverheitatet – „gnädige Frau“, falls ſie nicht im Einzelfalle Exzellenz“ ſind.
- Stiftsdamen haben als ſolche kein beſonderes Prädikat.
- Kloſterfrauen (Nonnen) ſind „Ehrwürdige Schweſtern“.
- Kloſteroberinnen ſind „Ehrwürdige Mütter“.
Die Anrede im Geſpräch
- Die Prädikate „Wohlgeboren“, „Hochwohlgeboren“, „Hochgeboren“,„Magnifizenz“ werden im Geſpräch überhaupt nicht angewendet; Hochwürden nur bei katholiſchenGeiſtlichen. Man ſagt alſo einfach „Herr Müller“, „Herr Regierungsrat“, „Herr Graf“, „Herr Paſtor“,“Herr Rektor“, „Herr Hofprediger“. In dieſem Falle empfiehlt es ſich auch nicht, in der dritten Perſon zu ſprechen, alſo nicht „Der Herr Regierungsrat wird entſchuldigen“ oder „Der Herr Hofprediger wiſſen wohl“ uſw. Das klingt ſo bedientenhaft, daß man es geſellſchaftlich vermeiden muſs. Man ſage ruhig: „Sie werden Entſchuldige, Herr Regierungsrat“ oder „Herr Hofprediger, Sie wiſſen wohl“ usw.
- Dagegen muſs man alle übrigen Prädikate mit der dritten Perſon verbinden, alſo man muſs ſagen: „Exzellenz werden ſich erinnern“, „Durchlaucht haben ſelbſt geſehen“, „Königliche Hoheit wollen beſtimmen“ usw.
- Zu einer Frau ſagt man „Gnädige Frau“, zu einer unverheirateten Dame „gnädiges Fräulein“, ſofern ihnen nicht ein anderes Prädikat zuſteht.
- Zu der Gattin eines Freihrerren pflegt man zu ſagen „Frau Baronin“ oder „Gnädige Frau“, ein Freiherr wird gewöhnlich mit „Herr Baron“ angeredet, die Tochter eines Barons mit „Baroneſſe“ oder „gnädiges Fräulein“.
- Zu einem Grafwen ſagt man „Herr Graf“, zu einer Gräfin „Frau Gräfin“, zur Tochter eines Grafen einfach „Gräfin“.
- Die Gattin einer „Exzellenz“ führt ſelber dieſes Prädikat und iſt dementſprechend anzureden.
Man ſei aber mit Titulaturen namentlich auch im ſchriftlichen Verkehr ſparſam, vermeide „Wohlgeboren“ gänzlich und „Hochwohlgeboren“ nach Möglichkeit.